Stadttauben - das ewig leidende Thema
Stadttauben spalten die Gemüter – die einen lieben sie, andere hassen sie, wieder anderen sind sie einfach egal. Egal ob man sie nun mag oder nicht, Tauben sind stetige Begleiter im städtischen Alltag. Stadttauben sind allerdings keine Wildvögel, sondern verwilderte Haustiere und damit abhängig von der Gunst der Menschen. Um die Bielefelder Stadttaubenpopulation gibt es in letzter Zeit viel (Medien)Rummel und wir möchten in diesem Artikel aufklären, wie der Stand der Dinge beim Projekt Stadttauben Bielefeld ist, was wir überhaupt tun, mit welchen Problemen wir momentan kämpfen und wie wir uns die Zukunft der Stadttauben Bielefeld vorstellen.
Eigentlich gibt es Grund die Sektkorken knallen zu lassen: In 2003 mit dem ersten Taubenhaus begründet, feiert das Projekt "Stadttauben Bielefeld" dieses Jahr in 2023 das 20jährige Jubiläum. Viel ist passiert in den 20 Jahren, vieles schneller als gedacht, vieles hat lange auf sich warten lassen, vieles ist momentan in der Schwebe und Umbruch.
Aber springen wir mal ein wenig in der Zeit zurück und fangen vorne an: Warum sollte man Stadttauben helfen? Was ist das Projekt "Stadttauben Bielefeld" und warum gibt es dieses?
Jeder der schon einmal durch die Innenstadt von Bielefeld flaniert ist, kennt sie: Kleine, gefiederte Bettler, die die Straßen auf der Suche nach dem nächsten Happen Futter unsicher machen. Bielefeld hat wie fast jede andere Großstadt, eine große Population an Stadttauben. An den Hotspots Bahnhof, Jahnplatz, untern den DB Brücken an der Stapenhorst- und Jöllenbecker Straße oder in der Stresemannstraße wurden in der Vergangenheit häufig mehrere hundert Tiere pro Schwarm gezählt. Die genaue Zahl an Stadttauben in Bielefeld ist aber unbekannt.
DIE PROBLEMATIK
Stadttauben sind wahre Überlebenskünstler und schaffen es, sich an jegliche Begebenheiten eines Großstadtdschungels anzupassen. Sie bauen sich ihre Nester aus Kaffeerührlöffeln und anderem von Menschen zurückgelassenem Müll, brüten wenn es sein muss in kleinen Spalten oder auf unbequemen Vorsprüngen, fressen aus Not auch Pommes und Döner. Des Weiteren müssen die standorttreuen Tiere es immer wieder über sich ergehen lassen, dass sie ohne eine Alternative, von ihren angestammten Plätzen vergrämt werden oder aber sie leben stoisch mit Verletzungen, die sie sich im gefährlichen innerstädtischen Alltag zuziehen, ohne dass Hilfe in Sicht ist. Kurz gesagt, sie haben es überhaupt nicht leicht und der Leidensdruck ist auch in Bielefeld bis heute, vor allen an den Hotspots, groß. Dies wird vor allem klar, wenn man sich vorstellt, dass alleine die Wildvogelstation des Tierheims Bielefeld jährlich mehrere hundert verletzte, kranke oder verwaiste Tauben aufnimmt, pflegt und versorgt – die wirkliche Anzahl an verletzten Tieren wird dies weit überschreiten, denn auch hier fehlt ein flächendeckendes Monitoring und die Dunkelziffer an Tauben, die in privaten Haushalten gepflegt werden, ist groß.
DER LÖSUNGSANSATZ - DAS AUGSBURGER MODELL
Um diesem Leid ein wenig entgegenwirken zu können gibt es schon seit 2003 das Projekt "Stadttauben Bielefeld" mit dem Ziel, die Population an Stadttauben langfristig und tierschutzgerecht zu verringern und auf einem gesunden und stabilen Niveau zu halten. Das Projekt ist eine Kooperation von Stadt und Veterinäramt, wird vom Tierschutzverein Bielefeld u.U.e.V. betreut und von vielen Ehrenamtlichen Mitarbeitern in die Tat umgesetzt. Das Projekt "Stadttauben Bielefeld" orientiert sich am Augsburger bzw. Aachener Model, welches ein tierschutzgerechtes Modell zur Reduktion von Taubenpopulationen ist. Hierbei werden Tauben Anlagen zur Verfügung gestellt, in denen sie brüten und schlafen können. In den Anlagen, bzw. im direkten Umfeld, werden die Tauben mit artgerechtem Futter versorgt und ihre Eier werden durch Gipseier ersetzt. Solch betreute Taubenschläge haben viele Vorteile:
- Die Stadttauben werden aus den städtischen Problemzonen weggelockt und verbringen ihren Tag in oder im Umfeld von den betreuten Taubenschlägen. Sie hängen nicht mehr bettelnd in der Stadt rum und auch ihre Hinterlassenschaften verrichten sie Großteils nicht mehr in der Stadt.
- Durch einen Austausch der Eier, gibt es nicht mehr so viel Nachwuchs und bei einem Bereitstellen von ausreichend Taubenschlägen, kann die Anzahl der Tiere in der Population langfristig stabil gehalten oder sogar reduziert werden.
- Durch die Versorgung mit artgerechtem Futter sinkt der Infektionsdruck durch Mangel- und Fehlernährung in der Population und es etabliert sich eine gesunde Population. Weiterer Nebeneffekt: Gesunde Tauben haben keinen Durchfall und so ist der Taubenkot, den die Tiere in der Stadt hinterlassen, weniger schädlich für die Infrastruktur der Stadt.
- Durch die engmaschige Betreuung der Schläge können kranken und verletzte Tiere frühzeitig aus der Population separiert und behandelt werden.
STADTTAUBENMANAGEMENT IN BIELEFELD
Auch in Bielefeld wurde in 2003 der erste betreute Taubenschlag realisiert. In der Nähe eines Hotspots, der DB Brücke an der Jöllenbeckerstraße, wurde ein Taubenhaus auf dem Conti Parkhaus errichtet, die Tauben hier mit artgerechten Futter versorgt und im Taubenhaus gelegte Eier gegen Gipseier ausgetauscht. Das errichtete Taubenhaus war aber von Anfang an zu klein für die Population und damit nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zusätzlich zu der mangelnden Größe des Taubenhauses gab es an diesem Standort weitere Probleme und so musste in 2015 eine neue Lösung her. In etwa 50-100m Entfernung zum alten Taubenhaus wurde an der Mindener Straße ein Bauwagen errichtet, der bis zu 200 Tieren einen Brutplatz bietet. Die Tauben wurden zu dem neuen Standort umgesiedelt und nahmen den Taubenwagen erfolgreich an. Gleichzeitig wurden die Tauben von ihren wilden Brutplätzen unterhalb der DB Brücken mit Netzen vergrämt, um zu erreichen, dass die Tiere den Taubenwagen als ihre neue Brutstätte annehmen. Leider zeigte sich schon wenige Jahre nach der Vergrämung, dass die angebrachten Netze nur mangelhaft installiert waren und so brüteten viele Tauben weiterhin wild unter den Brücken oder fanden hier den Tod, wenn sie sich verhedderten oder den Weg nicht mehr hinausfanden. So wurden in 2018 die Netze unter den Brücken erneut gespannt und etwaige Löcher in der Vernetzung verschlossen, allerdings gibt es mit diesen Netzen bis heute immer wieder Probleme.
DER TAUBENSCHLAG IN BIELEFELD - EINE ERFOLGSGESCHICHTE MIT MANKOS
Dennoch, seit dem Umzug in den Taubenwagen an der Mindener Straße, werden hier jährlich bis zu 800 Eier ausgetauscht, d.h. 800 Tauben weniger, die die Innenstadt von Bielefeld unsicher machen. Aber auch am Standort Mindener Straße gibt es ein Manko: Auch dieser Taubenwagen ist zu klein, um der gesamten Population dieses Standortes einen Unterschlupf zu bieten und so ist der Tierschutzverein momentan darum bemüht, an demselben Standtort einen zweiten Wagen zu realisieren, um hier langfristig eine Verbesserung für die Stadttaubenpopulation erreichen zu können.
Und dann gibt es noch ein großes Problem: Die Population an der Mindener Straße ist nicht die Einzige, die Betreuung und Management benötigt, denn auch zum Beispiel am Bahnhof oder Jahnplatz bzw. in der gesamten Einkaufszone gibt es viele Tauben, die immer noch Obdachlos sind.
GEGENWIND VON VERWALTUNG UND POLITIK
Schauen wir kurz zum Jahnplatz: Auch
auf dem Niederwall werden seit langer Zeit Tauben gefüttert, um sie an den Standort
zu gewöhnen, denn seit vielen Jahren ist der Tierschutzverein im Gespräch und
in Verhandlungen mit der Stadt, um hier weitere Standorte für Taubenhäuser zu
realisieren. Dies ist allerdings bisher ohne großen Erfolg, da es Konkurrenz,
um die wenigen möglichen Standorte in der Innenstadt gibt oder es aber an
anderen möglichen Standorten bisher nicht in das innerstädtische Konzept passt,
einen Taubenschlag zu realisieren. Dennoch ist das Thema Taubenschlag in der
Nähe des Jahnplatz noch nicht vom Tisch und die Verhandlungen gehen weiter. Es
gibt aber auch erneut sehr kritische Stimmen und so wurde erst kürzlich wurde
von FDP und CDU gefordert, dass der Tierschutzverein Bielefeld am Jahnplatz
bzw. Niederwall die Fütterung der Taubenpopulation einstellt, da sie "eine
gezielte Vermehrung der Tauben" nicht mehr hinnehmen wollen. Von diesen
Vorwürfen möchten wir uns als Tierschutzverein allerdings distanzieren, denn
die Versorgung der Tauben mit artgerechtem Futter bewirkt keine gezielte
Vermehrung, sondern verhindert Tierleid.
STADTTAUBEN - EIN MENSCHENGEMACHTES PROBLEM
Hier zwei wissenswerte Fakten zu Stadttauben:
1. Sie sind verwilderte Haustiere, das heißt alle Tauben, die heutzutage in den Innenstädten rumlungern, sind auf irgendeine Art und Weise Nachkommen von Brief- und Rassetauben und so nach §960 Abs. 1 BGB keine wilden, herrenlosen Tiere, sondern verloren gegangene Haustiere. Stadttauben sind also ein menschengemachtes "Problem", welches auch rein rechtlich unserer Verantwortung unterliegt.
2. Als ehemalige Zuchttiere, sind Stadttauben, wie auch Legehennen, genetisch dazu veranlagt eine hohe Brutaktivität und Reproduktionsfähigkeit an den Tag zu legen. Diese ist leider völlig unabhängig von den äußeren Gegebenheiten, das heißt, Stadttauben brüten unabhängig von Wetter, Platz- oder Futterangebot IMMER. Es gibt aus den vergangenen Jahren immer wieder einige Stimmen, die behaupten, dass ein reduziertes Nahrungsangebot bzw. ein generelles Fütterungsverbot eine Population an Stadttauben reduzieren kann. Dies ist allerdings nicht korrekt, denn Lücken in den Populationen werden immer wieder schnell durch nachrückende Tiere aufgefüllt. Was ein Fütterungsverbot allerdings zur Konsequenz hat, ist, dass vor allem Jungtiere sterben, deren Zahl dann erneut durch eine angeregte Brutaktivität ausgeglichen wird. Weiterhin leiden bei einem allgemeinen Fütterungsverbot die adulten Tiere häufig unter Mangelernährung, was in weiterer Folge dazu führt, dass vermehrt Infektionskrankheiten in den Populationen auftreten. Des Weiteren führt ein Fütterungsverbot dazu, dass die Tiere wieder vermehrt auf den Straßen betteln – summa summarum eine Lose-Lose-Situation für alle Beteiligten.
Seitennotiz: Ein Rechtsgutachten zum Stadtaubenschutz aus 2021 aus Berlin verfasst von Dr. iur. Arleth und Dr. med. vet. Hübel stellte kürzlich unzweifelhaft klar, dass ein Verhungern oder Aushungern von Stadttauben als potentiell strafbare Verletzung einer Garantstellung der Kommune gegenüber den Tieren betrachtet werden muss. Ein reines Fütterungsverbot ohne tierschutzgerechte Alternative ist somit weder zielführend noch nachhaltig und es müssen andere Lösungen her.
DIE ZUKUNFT DER STADTTAUBEN BIELEFELD
Aus diesem Grund wird es jetzt in wenigen Tagen im April 2023 nochmals ein Treffen des Tierschutzvereins mit Vertretern der Stadt und Presse geben, um ein gesamtheitliches Taubenkonzept zu erarbeiten und vorzustellen. Zu diesem gesamtheitlichen Konzept werden fünf Säulen zählen: (1) Die gezielte Fütterung mit artgerechtem Futter an ausgewählten Standorten, (2) die Weiterbetreibung des vorhandenen Taubenwagen und der Aufbau weiterer Taubenhäuser an Hotspots im innerstädtischen Bereich, (3) die gezielte aber tierschutzverträgliche Vergrämung der Tauben an den Hotspots, um wildes brüten zu erschweren und sie in die errichteten Taubenhäuser zu locken und dort zu binden, (4) ein allgemeines Fütterungsverbot außerhalb der ausgewählten Standorte, um die Gesamtheit der Taubenpopulation zu den errichteten Standorten zu locken und dort zu binden und (5) möglicherweise unterstützend der Einsatz der "Pille für die Taube", einem Medikament, dass die Reproduktionsfähigkeit bei Tauben herabsetzt (Seitennotiz: Der Einsatz dieses Medikamentes unterläuft momentan noch der (wissenschaftlichen) Prüfung für einen tierschutzverträglichen Einsatz in Bielefeld). Über den Ausgang dieses Treffen werden wir berichten.
FAZIT
Was lässt sich abschließend sagen? Es gibt zwei kritische Punkte, die wir in Kooperation mit der Stadt zeitnah erreichen müssen, um das "Taubenproblem" langfristig in den Griff zu bekommen:
- Eine Vergrößerung des vorhandenen Taubenwagens an der Mindener Strasse, so dass auch die Tauben, die momentan weiterhin unter den Brücken und auf Balkonen der Umgebung leben, im Wagen Zuflucht finden.
- Weitere Schläge an den Brennpunkten des Stadtgebietes wie Bahnhof oder Jahnplatz.
DANKSAGUNG
Wir als Tierschutzverein sind trotzdem froh, dass es das Projekt "Stadttauben Bielefeld" schon seit langer Zeit gibt und geben darf, denn nicht jede Stadt betreibt Stadttaubenmanagement. Und auch wenn es immer etwas zu verbessern gibt, sind wir in der dankbaren Situation den Tauben momentan mindestens an einem Standort ein Dach über dem Kopf zu bieten und sie an mehreren Standorten mit artgerechtem Futter versorgen zu können. Des Weiteren sind wir in der glücklichen Situation ein tolles Team an engagierten Ehrenamtlichen zu haben, die diese Fütterungen täglich übernehmen, regelmäßig an Aktionstagen den Taubenwagen reinigen und sich teilweise auch um kranke und verletzte Tiere kümmern. Dieses kümmern kann darin bestehen, dass sie die Tiere auf eigene Kosten aufnehmen und versorgen, zu einem Tierarzt fahren oder zu uns ins Tierheim bringen.
HELFEN AUCH SIE DEN STADTTAUBEN IN BIELEFELD
Wenn Sie dieses Engagement lobenswert finden bzw. wenn sie uns im Kampf für die Rechte der Stadttaube unterstützen wollen, werden sie aktiv: Melden sie dem Taubentelefon oder dem Tierheim unter untenstehenden Kontaktdaten verletzte Tiere. Oder vielleicht wollen Sie sich aktiv bei der Versorgung der Stadttauben einbringen und zum Beispiel bei Fütterung, Eiertausch oder Schlagreinigung helfen? Haben Sie vielleicht ein Auto und können tiermedizinischen Fahrten übernehmen oder können Sie vielleicht sogar hin und wieder verletzte oder verwaiste Tiere zeitweise aufnehmen? Melden Sie sich bei uns! Vielleicht wollen Sie uns eher passiv mit finanziellen Mittel helfen, so dass wir auch in Zukunft Futter, tiermedizinische Betreuung und Medikamente finanzieren können? Spenden Sie! Die Stadttauben werden über jeden Euro dankbar sein…